Montag, 16. April 2012

Freunde, Vorstellungen & Realitäten


Hermann Hesse, "Freunde". In drei Stunden glatt durchgelesen. Hans sucht. Er findet Freunde. Im Privaten. In der Studentenverbindung. Im Universitären. Im Geiste. In der Lebensweise. Er findet Freunde. Aber er findet nicht seinen Weg. Liegt es an seiner Herangehensweise? Oder gibt es Menschen, die ihren Weg vielleicht niemals finden können?

Eine gewisse Leere bleibt bei mir zurück. Oder Beklommenheit? Nachdenkenswert.


Was ich mitnehme?


"Hans meinte zu wissen, dass jeder Mensch sein eigenes Ziel habe, jeder ein anderes und dass scheinbare Übereinstimmungen hier nur Täuschungen sein könnten. Immerhin war es möglich, dass zwei Menschen grosse Wegstrecken gemeinsam gingen und Freunde waren."

Da ist sie wieder. Die Erkenntnis, dass die meisten Freunde nur Freunde für jeweils einen Lebensabschnitt sind. Tempus fugit. Pflücke den Moment, denn er kommt nie wieder und ist (tatsächlich) ein Geschenk. Im Guten, wie im Schlechten. Ein frommer Wunsch, vom Alltag regelmäßig erfolgreich verdrängt.
 
und:

(Nach einem großen Vorwurf): "Nicht schimpfen, Hans! Es kommt Dir vielleicht so vor, aber Du weißt doch, die Sachen sind immer anders, als sie uns vorkommen"

Das bedingungslose "immer", das Hesse hier statt des (heute) üblichen "meistens" verwendet machte mich nachdenklich und erinnert mich an Watzlawick: jeder Mensch hat seine eigene Wirklichkeit. Wir sollten weniger vorwerfen, als Verstehen lernen. Und akzeptieren. Und manch Anderer hat uns vielleicht in Wahrheit weitaus weniger wichtig genommen, als wir es gerne gehabt hätten. Und sein uns ungeliebtes Tun oder Unterlassen war in seiner Realität ein Nichts. Und nur in unserer eigenen ein schmerzvoller Tsunami.

Mir fehlen die nächtelangen philosophischen Diskussionen aus der Studentenzeit.

Samstag, 7. April 2012

Mailand in Berlin

Die Filarmonica della Scala spielte in der Philharmonie Berlin, und dann noch unter Daniel Barenboim. Kann ja eigentlich nur gut werden. Aber es wurde sogar sensationell: Barenboim dirigierte so, wie wohl ein Sonnengott seine Lichtstrahlen beherrscht. Rossini und Verdi waren ohnehin Selbstläufer, die mit tosendem Applaus bedacht wurden. Aber selbst der Debussy (nicht gerade mein Favorit) wurde zum Glanzstück. Neben göttlicher Musik lag das wahre Festspiel jedoch in der einzigartigen Kommunikation des Meisters, individuell mit jedem einzelnen seiner Musiker. Mit strengen oder lachenden Mienenspielen, fordernden oder zurechtweisenden Fingerzeigen, verträumten und verzückten Lächeln, wilden oder entrückten Grimassen, mal flehenden, mal warnenden, bremsenden oder anheizenden Augenspielen, "ich-liebe-Dich"-Blicken und manchmal auch mit einer wilden "ich-trete-Dir-in-den-Allerwertesten"-Geste.
Die besten Sitze bei Barenboim sind eindeutig nicht auf den teuersten Plätzen. Wer nur seinen Rücken sieht verpasst das Herz der Aufführung.
Oh, was für ein Tag!

Dienstag, 3. April 2012

Es gibt viele Patienten in Berlin

Heute beim Inder in der Zossener Straße:

Ein Paar am Nebentisch, Typ Altkreuzberger Lehrer.

Der indische Kellner räumt das Geschirr der Vorspeise ab und fragt ihn: "Oh, hat Ihnen die Suppe nicht geschmeckt?"
Mann blafft zurück: "Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Scheiß!"
Kellner (nach fünf versteinerten Schrecksekunden) leise: "Ich verstehe". Und geht ab.

Riesenszene am Tisch. Die Frau ist geschockt und auf Hundertachtzig wegen des Benehmens ihres Begleiters. Er solle sich gefälligst beim Kellner entschuldigen, und ob er noch alle Tassen im Schrank habe. Er kuscht, wird immer kleinlauter und verlässt schließlich das Lokal (im Vorbeigehen leise zum Kellner: "warnichsogemeint").

Kellner bringt später der Frau den Hauptgang und fragt sie unschuldig: "Und Sie sind sein Betreuer?".
Sie schaut ihn mit weit aufgerissenen Augen an, der Inder sinniert verständnisvoll weiter: "Ja, es gibt viele Patienten in Berlin..."

Der Gesichtsausdruck der Frau: Unbezahlbar... :-)))

Montag, 2. April 2012

Extravaganza - one day more

Musicals sind in Berlin eher rar gesäht, insbesondere kleinere Produktionen sind schwer zu finden. Besondere Freude macht da die geniale Inszenierung des schrägen Stücks "One Day More/Extravaganza" von Johannes Müller (für mich ein Regiegenie), Santiago Blaum (tolles Arrangement!) und Philine Rinnert (wunderbar in Bühnenbild/Kostümen) in den Berliner Sophiensälen. Der Kapitalismus geht unter (ein bisschen), Tod & Auferstehung, eine in sich spannende Story, aber vor allem: kombiniert mit wunderschöner Musik (warum geht man auch sonst in ein Musical?!) aus Les Misérables, brilliant gespielt und gesungen von Jill Emerson, Jessica Gadani, Hauke Heumann und (wie kann man nur so viel Text behalten?) Sebastian Straub. Und unterstützt von einem phantastischen :-) Berliner Chor! Die wilde Handlung kontrastiert perfekt mit der so sehr melodischen, einfühlsamen Musik. Der Zuschauer wird hin- und hergerissen zwischen Mitleid mit Occupy-Demonstranten, Kopfschütteln über durchgeknallte Investmentbanker, hier und da einem Mord und berührender Musik, die einen in Harmonie und Glückseligkeit schweben lässt.
Soweit meine völlig befangene und subjektive Meinung. Aber unabhängig davon: Die Zuschauer haben jedenfalls jeden Abend getobt.
Wer es noch erleben möchte: nur noch bis 4.4. in den Sophiensälen.